Politische Bühne
Abisag Tüllmann hatte einen sicheren Blick für das Theatralische der Politik. Mit Gesten, Posen, Accessoires verraten ihre Porträts vieles über die heute historischen Figuren von Konrad Adenauer, Franz Josef Strauß, John F. Kennedy, Willy Brandt, wie auch über die frühen Jahre inzwischen gesetzter Politiker wie Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer. Wie am Theater fasst die Fotografin auch die Nebenszenen ins Visier: Menschen, die anderen einen roten Teppich ausrollen, oder Uniformierte, die Exekutivgewalt demonstrieren oder Ereignisse absperren. In den 1960ern verlagert sich die politische Debatte, etwa mit der Außerparlamentarischen Opposition, verstärkt auf die alternative Bühne von Straßen oder Hörsälen.
1976 untermalen Tüllmanns Bilder Walter Kempowskis „Homestory“ beim späteren Bundeskanzler für Die Zeit: „Was lesen Sie, Herr Kohl?“, bei der sich der Hausherr ganz in Cord, mit Pfeife und Fanta, vor dem Bücherregal inszeniert, während seine Frau sich vor dem Geschirrschrank präsentiert. Das Private ist politisch. Auch in der Fotografie.