Ihr Leben lang beobachtete Tüllmann mit ihrer Kamera, wie Menschen leben: in Großstädten, auf der Straße, in Siedlungen, Behelfsunterkünften, allein, in Familien, sowie die Bedingungen und Gegensätze der Lebensformen in der bundesdeutschen Gesellschaft, aber auch im Ausland. Ihre frühesten Aufnahmen mit einer Fotobox zeigen Romas in der französischen Provence. Roma und Sinti, aus dem Ausland angeworbene Arbeiter*innen (die sogenannten Gastarbeiter), Menschen in besonderen Situationen – wie Asylbewerber, Arbeitslose, Aussteiger, Homosexuelle, abtreibewillige, geschiedene oder alleinerziehende Frauen, und in ganz besonderem Maße Obdachlose – waren ihr Spezialgebiet, auf dem sie ausführliche und bisweilen über Jahrzehnte fortgesetzte Reportagen erarbeitete. So enthielt ihr nachgelassenes Bildarchiv 15 Kisten mit Abzügen zum Thema „Gastarbeiter“ und 18 zum Thema „Obdachlose“.
„Im Gegensatz zum schnellen, entlarvenden Bildjournalismus, zur anklagenden Sozialreportage oder zur nüchternen Dokumentarfotografie zeugen die in Ausstellungen und Publikationen veröffentlichten Bilder vom Respekt und der Anteilnahme, die Tüllmann den von ihr Porträtierten entgegenbringt und sind doch dezidiert politisch.”
(Martha Caspers, Ausstellungskatalog Abisag Tüllmann (1935-1996). Bildreportagen und Theaterfotografie, 2010, S. 11)